Tirols Knödel sind die österreichische Pasta
Eine kulinarische Reise rund um das Städtchen Hall in Tirol in sechs Gängen | Teil 2
Einer der schönsten Orte in Tirol ist die Kleinstadt Hall, die nur zehn Kilometer vor den Toren der Landeshauptstadt Innsbruck im beschaulichen Inntal liegt. Wie kann man sich Hall und seiner Region nähern, mehr erfahren? Ein Weg führt über die kulinarische Entdeckungsreise. Denn nicht nur die Landschaft der Berge hat den Charakter Tirols und seiner Bewohner geprägt, sondern auch die Küche.
VI. Gang Wanderung zur Thauer Alm
Tirols Landschaft mit ihren schroffen Berggipfeln und Klüften, mit malerischen Bergen, grünen Wiesen und Almen ist seit jeher ein Wanderparadies. Unterwegs sein in Tirol heißt auf Schritt und Tritt, die Vielfalt der Natur und Bergwelt zu erfahren. Hier findet der Besucher die klare Höhenluft und er kann sich von Charme und Flair dieser einzigartigen Landschaft mit der noch zumeist unberührten Natur inspirieren lassen.
Auf dem Programm vom Hall-Wattens Tourismusverband steht eine Panorama-Wanderung im Naturpark Karwendel. Startpunkt ist die kleine Gemeinde Thaur und Ziel die gleichnamige Alm auf einer Seehöhe von 1.464 Metern. Da der Ort 633 Meter hoch liegt, haben die Wanderer mehr als zwei Stunden eine stetig bergauf führende Wegstrecke zu absolvieren.
Das Wandern ist zwar zu keiner Zeit ganz aus der Mode gekommen. Allerdings freuen sich vor allem die Tiroler Touristenverbände, so Wanderführerin Susanne Vianello, dass Wandern schon seit Jahren wieder zu einem Trendsport avancierte. „Wandern ist wieder richtig schick geworden“, freut sich die Tirolerin. Auch auf den Wanderwegen trifft man nicht mehr vorrangig Trachtenjacken und Kniebundhosen, sondern da sind alle Altersgruppen vielfach mit modernen bunten Treckingjacken und -hosen unterwegs.
Auf der Thaurer Alm stehen auf je einer Hausseite zwei große Terrassen mit langen Tischen und Bänken für die Wanderer zur Verfügung. Bei knalliger Sonne noch im September und mäßigem Wind von den Bergzügen des Karwendel wird das total durchgeschwitzte Wanderhemd wieder ganz trocken. Die Almwirtin Carmen Bichler brutzelt am Herd ihrer Almküche eine der absoluten Spezialitäten in den Tiroler Bergen:
Kaspress-Knödel mit einer reichhaltigen Auswahl von Salaten
Obwohl an diesem schönen Sonnentag viel zu tun ist, findet die Almwirtin noch die Zeit, einen „unschuldigen“ namenlosen Obstler zu kredenzen und kurz dem Gast aus Berlin das wohlschmeckende Geheimnis des Kaspress-Knödelfaktor zu lüften. Im flach gedrückte Käseknödel, eine Art Nationalspeise Tirols, sind einheimische, lang gereifte etwas leicht stinkende Käsesorten vom Bauern im nächsten Dorf, Eier von den drei Dutzend Hühnern von ihrem Hühnerhof hinter der Alm, etwas Knödelbrot, Milch von den Kühen der Alm, Gewürze und dann alles in die Pfanne. So schmeckt Urlaub in Tirol, wie man ihn sich vorstellt. Wer den Knödel auf der Alm nicht probiert hat, ist nicht in Tirol gewesen. www.thaureralm.at
V. Gang: Die Glitzerwelt der Kristalle
Der Glasschleifer Daniel Swarovski eröffnete im Jahr 1895 in dem kleinen Alpenort Wattens seinen Betrieb für Kristall- und Glasherstellung und verschaffte damit Tirol und darüber hinaus ganz Österreich eine Attraktion für Touristen von internationalem Format. Zum 100jährigen Jubiläum eröffnete im Oktober 1995 das nunmehr weltweit erfolgreich agierende Unternehmen in seinem Stammsitz Wattens das einzigartige Besucherzentrum Swarovski Kristallwelten. Mittlerweile produziert und vertreibt das Unternehmen neben hochwertigen Kristallen auch synthetische Schmucksteine und echte Edelsteine, optische Präzisionsinstrumente (vor allem Ferngläser) und Schleifwerkzeuge.
Schon der Eingang in die magische Welt des Kristalls, ein wasserspeiender Kopf eines Riesen, signalisiert den Besuchern, welche Inspirationen die Kristalle für Kunst und Wissenschaft darstellen. Ein Garant dafür war der umtriebige Multimedia-Künstler André Heller, unter dessen Leitung damals diese künstlerische Ausstellung stand. Hier hatten nun berühmte Akteure der Kunst- und Designszene die Möglichkeit, aus dem funkelnden Material ihre Raum- und Erlebnis-Konzepte zu entwickeln. Geordnet ist die Ausstellung nach dem Prinzip der Wunderkammern, basierend auf der historischen Wunderkammer im Innsbrucker Schloss Ambras. Jeder Künstler und Designer kann nun hier seine Geschichten erzählen.
In mehr als 20 Jahren konnte dieser magische Ort mehr als 13 Millionen Besucher zählen.
Eine schwebende Kristall-Wolke
Ein Markenzeichen der Firmengeschichte von Swarovski war stetiger Wandel und sich dem Neuen öffnen. So wurden die Kristallwelten mehrmals und zuletzt von 2013 und bis 2015 wesentlich erweitert und verändert, um auch frühere Besucher wieder nach Wattens zu locken. Besonders spektakulär ist die auf 7,5 Hektar ausgedehnte Gartenfläche, in der eine über einem dunkel gefärbten Spiegelwasser schwebende Kristall-Wolke aus mehr als 800.000 handgesetzten Kristallen glitzert, eine Arbeit des Designerduos CAO PERROT.
Selbstverständlich sind auch neu gestaltete Wunderkammern dazugekommen, die sehr moderne Kunstformen repräsentieren. Dafür sprechen solche große Namen der Kunstszene wie Jim Whiting, Arik Levy, Brian Eno und Studio Job. So zeigt Lee Bull eine von der Decke herabhängende, auf den Kopf gestellte Stadtlandschaft mit verwobenen Kristallen. Es ist eine Stadt-Silhouette, inspiriert von deutschen Expressionisten aus dem 20. Jahrhundert. Schließlich führt kein Weg an der Swarovski Einkaufslandschaft vorbei, die schon dadurch fasziniert, wie vielfältig das Material Kristall einsetzbar ist. Hier werden auch stolz die starken Partnerschaften vorgezeigt - Karl Lagerfeld lässt vielfach grüßen.
Butter Chicken (Murgh Makhanwala) serviert mit Naanbrot
Die großzügig verglasten Fassadenfronten erlauben den Blick auf die Kristallwolke und die Berglandschaft. Das „Daniels“ ist vom renommierten Wiener Gourmetclub Falstaff mit einer ersten Gabel ausgezeichnet worden.
VI. Gang. Knödel kneten im Touristenbüro
Als das Land Tirol in den 50er Jahren die bescheidenen Anfänge des geschäftigen Tourismus erlebte, galten die Bewohner des Landes der Berge und Täler als die treuherzigen und jovialen Gastgeber(1). Der Mythos der Tiroler Gastlichkeit wurde auch kulinarisch festgemacht. Es dominierten die selbst gemachten Speisen, ganz vorn an stand die bürgerliche Hausmannskost, die man auch damals häufig auf dem Teller der Einheimischen fand. Speckknödel und Schlutzkrapfen stiegen zu dem sprichwörtlichen Symbol für Tiroler Geselligkeit auf.
„Eigentlich waren die Knödel über lange Zeit die arme Leute Küche. In den Notzeiten - und die herrschten oft in Tirol - musste damals altes Restbrot sowie Kartoffeln, Grieß und Getreide verwertet werden“, erklärt Elisabeth Köhle. Sie ist Kunsthistorikerin und Übersetzerin, als Stadtführerin in Hall unterwegs. In ihrem regelmäßig stattfindenden Kochkurs in einem kleinen Küchentrakt im modernen Gebäude des Tourismusverbandes in Hall werden mit den Touristen zumeist Knödel geknetet. „Unter der Überschrift „Verkostung - Tiroler Schmankerln selbst zubereitet“ legen die Teilnehmer für eine Gebühr von fünf Euro unter fachkundiger Anleitung tüchtig selbst Hand an, um dann zum guten Schluss alles zu verspeisen.
„Es wird bei den Touristen wieder stärker nach dem ursprünglichen und authentischen Tirol gefragt, nach dem einfachen Essen der Leute“, bestätigt Elisabeth Köhle und hält mir einen Topf mit Knödelmasse unter die Nase. Jeder im Kochkurs, auf dem Programm stehen Speckknödel, muss den Knödelteig, nachdem er sich ausgiebig die Hände gewaschen hat, mit bloßen Händen ordentlich durchkneten. Das Grundrezept ist wirklich sehr einfach gestrickt (Knödelbrot, Ei, Zwiebel, Kräuter, Salz, Pfeffer, klein gewürfelter Speck), dann die Knödel fest formen und mit einem hauchdünnen Wasserfilm versehen und ab ins kochende Wasser. Auch der traditionelle Salat ist einfach gemacht. Ganz dünn geschnittenes Weißkraut mit Öl,Salz,Pfeffer, Kümmel und Essig mischen und fertig. „Die Teilnehmer sind oft erstaunt, wie wenig Zutaten nötig sind für unsere Tiroler Schmankerln“, stellt Elisabeth fest und übersetzt gleich für mich: “Schmankerl heißt auf tirolerisch: leckeres Essen.“
Kaiserschmarrn mit Zwetschgenkompott
Zum Schluss der Küchenlehrstunde will die Tiroler Köchin zum Dessert noch schnell einen Kaiserschmarrn zubereiten, wobei sie versichert, dass nicht wenige Österreicher dieses legendäre Gericht auch als Hauptgang einsetzen. Sie trennt das Eiweiß von zwei Eiern und schlägt es mit einem kleinen Elektro- Rührer zu steifem Schnee. Dazu gibt Elisabeth Eigelb, etwas Mehl, Zucker, Salz, Vanillezucker, rührt es schaumig. Inzwischen wird Butterschmalz in der Pfanne erhitzt und sie kann noch nebenbei etwas erzählen. Es heißt, dass angeblich der Name dieses populären Gerichtes nach der beliebten Kaiserin Maria Theresia benannt wurde. Sie war im 18. Jahrhundert 40 Jahre eine Herrscherin in Europa mit sehr viel Reformeifer und eine Frau, die 16 Kinder zur Welt brachte. Welch himmelweiter Unterschied zur heutigen vermeintlichen Herrscherin in Mitteleuropa.
Die Mehlspeise ist mittlerweile in der Pfanne. Nun wird der große gewendete Pfannkuchen von Elisabeth in kleine Stücke zerrissen (der Schmarrn) und mit Puderzucker bestreut. Dazu stellt Elisabeth das obligatorische Zwetschgen-Kompott auf den Tisch.
Dieses Mal habe ich mir nach einer Reihe von Besuchen in Österreich fest vorgenommen, einen Kaiserschmarrn am Herd zu Hause in Berlin selbst zuzubereiten. www.hall-wattens.at