ReiseBericht | Bulgarien


Grenzbereich

Impressionen aus den Südrodopen – entlang der bulgarisch-griechischen Grenze

„Es muss nicht immer nur Meer sein“, sagte mir Rositza Jankova, Geschäftsführerin der bulgarischen Incomingagentur Wandi-S OOD in Plovdiv. In diesem Satz steckt auch die Kritik an den namhaften Reiseveranstaltern, die (auch hierzulande) ausschließlich die Gold-, Sonnen- und sonstigen Strände an der Schwarzmeerküste zwischen Burgas und Varna vermarkten. Denn das fast 1340-jährige Bulgarien hat auf seinen knapp 111 000 Quadratkilometern enorme touristisch relevante Möglichkeiten – von historischer Bedeutung und für Naturliebhaber. Doch diese besuchenswerten Stätten im Landesinnern bleiben den All-inclusive-Urlaubern verborgen.


Die Bergwelt rund um Perperikon


Wer wirklich Land und Leute kennen lernen möchte, kann dies in Bulgarien seit den 90er Jahren eigentlich nur auf individueller Basis tun. Nur gelegentlich gebe es kleinere Reisegruppen von Vereinen oder Organisationen, die nach eigenen Themenschwerpunkten gezielte Rundreisen unternehmen, informiert Jankova. Dafür biete ihre Agentur eine umfangreiche Palette an lohnenswerten Reisezielen mit nachhaltigem Erlebnischarakter an.

Zweifellos gibt es landesweit etliche geschichtsträchtige Stätten, die in den Zeiten der Volksrepublik besser erhalten wurden. Inzwischen sind viele davon durch Vandalismus beschädigt und/oder durch üppigen Pflanzenwuchs verwildert. Doch selbst einige dieser anscheinend vergessenen, weil nicht mehr gepflegten Orte, ziehen nach wie vor ständig noch Besucher an. Es sind vorwiegend Einheimische, die auch diese nun leider immer mehr vernachlässigten Stätten für durchaus erhaltenswert und erinnerungswürdig erachten. Sind es doch stumme Zeugnisse der reichen bulgarischen Geschichte, auf die die Menschen in dem Balkanland berechtigt stolz sind. Ausländische Touristen sind dort allerdings kaum anzutreffen. Allerdings hält sich auch der Anteil fremdsprachiger Besucher bei anderen Sehenswürdigkeiten außerhalb von Sofia und den Schwarzmeerorten in sehr engen Grenzen.


Perperikon

Das Rodopengebirge im Südosten Bulgariens ist nicht nur durch seinen scheinbar grenzenlosen Naturreichtum, sondern ebenso durch zahlreiche Überreste jahrhunderteralter Besiedlungen geprägt.



Im heutigen Grenzgebiet zu Griechenland hinterließen nicht nur die Thrakier, sondern später auch die Römer sowie andere Volksgruppen unauslöschliche Spuren. Zu den wohl bekanntesten Zeugen der Vergangenheit dürfte die Felsenstadt Perperikon vor den Toren des Dorfes Gorna krepost gehören. Sie gilt als eine der berühmtesten archäologischen Stätten des Landes. Der namhafte bulgarische Thrakologe Prof. Dr. Nikolaj Ovcharov ist fast überzeugt, dass dort einst der von antiken Autoren beschriebene Tempel des griechischen Weingottes Dionysos stand. Im Jahr 2000 begannen unter Ovcharovs Leitung die systemischen Ausgrabungen, die längst noch nicht abgeschlossen sind.

„Die ersten Angaben über den Tempel gibt Herodes, der in seinen berühmten Historien davon berichtet, dass sich irgendwo in dem heiligen Gebirge Rodopen auf einem hohen Felsengipfel ein Tempel des Dionysos befinde.(…) Der Tempel werde von dem thrakischen Stamm Satri bewacht.(…) Etwa zwei Jahrhunderte später erwähnt der römische Historiker Svetonius in seiner Schrift ‚Das Leben der zwölf Kaiser‘ wieder den Tempel von Dionysos. (…) Die alten historischen Quellen offenbaren, der Tempel von Dionysos sei in einen Felsen gemeißelt und habe einen steinernen Altar, auf den Wein gegossen wird“, schreibt Petja Ovcharova in dem Reiseführer über Perperikon. Tatsächlich fanden die Archäologen zahlreiche Beweise, die diese Überlieferungen bestätigten.

So reicht die Geschichte dieser Kultstätte, die später eine monumentale Festungsanlage von 10 000 Quadratmetern wurde, über 7000 Jahre zurück. Straßen, Kanalisationssysteme, Pracht-, Sakral- und Wohnbauten prägten das Felsplateau. Erst die Osmanen zerstörten nach der Eroberung die Festung, die sich zu einem Touristenmagnet entwickelte. Auf dem sonnenüberflutetet Parkplatz am Fuße des 470 m hohen Felsens ist schon bereits gegen Mittag kaum noch ein freier Stellplatz zu finden, der ganztägig ein Lev (0,51 Euro) kostet.

Zwei nicht barrierefreie Wege führen in die einstige Felsenstadt, die auch gern mit dem jordanischen Petra verglichen wird. Nur wer sich auf dem unausgeschilderten Zugang etwas auskennt, findet die über 180 Steinstufen, die den Aufstieg streckenweise etwas erleichtern. Am Ende der Treppe warnt ein Schild, dass der weitere Weg bei Feuchtigkeit gefährlich sei. Denn es geht dann über rutschige Steine weiter bergan. Die meisten Touristen strömen jedoch gleich zu dem „Kletterweg“, der ziemlich steil über gigantische Felsbrocken auf das Plateau führt.

Oben lassen sich die Straßen und Wege sowie die Grundmauern und sogar noch große Teile der einstigen Zitadelle gut erkennen. Teilweise führen Holzwege über das felsige Terrain. Dieser Felsbesuch ermöglicht Einblicke in eine jahrtausendalte Historie und Ausblicke auf eine malerische Rodopenlandschaft.


Steinpilze

Rund 15 km von Perperikon entfernt fasziniert eine andere Felsattraktion: Steinpilze. Unmittelbar an der Landstraße 5009, die die Dörfer Beli plast und Zornitsa verbindet, befindet sich diese ungewöhnliche Natursehenswürdigkeit, die im Mai 1974 zum Schutzgebiet erklärt wurde. Weit und breit gibt es keinen Hinweis auf dieses drei Hektar große Areal, das nur von einem leichten Stacheldrahtzaun begrenzt wird.



Vor weit über 23 Millionen Jahren war dieser Landstrich noch tief unter dem Meeresspiegel. Damals bildete sich dort vulkanischer Riolit-Tuff, der zu verwittern begann, als sich der Boden hob und das Wasser zurückgezogen hatte. Da die obere Tuffschicht widerstandsfähigere Mineralien enthält, war das darunter befindliche Gestein der Erosion stärker ausgesetzt. So entwickelten sich in Jahrtausenden die nun immer noch vorhandenen steinernen Pilze. Bis zu 2,50 m ragen diese Gebilde aus dem Boden. Ein bisschen erinnern sie an den „Steinwald“ südlich von Slanchevo an der Nationalstraße 2 (westlich von Varna), der auf ähnliche Weise entstand.

Das Steinpilzgelände bei Beli plast ist jederzeit frei zugänglich. Allerdings gibt es dort keinen Parkplatz, sodass das Auto irgendwie an dem schmalen Straßenrand positioniert werden muss. Eine türbreite Zaunöffnung ermöglicht das Areal kostenlos zu betreten. Natürlich wird dieses spezielle Naturphänomen auch als eine ideale Örtlichkeit für persönliche Erinnerungsfotos genutzt.


Orpheus-Heiligtum

Knapp 200 Einwohner bevölkern das Rodopendorf Tatul vor den Toren der Stadt Momtschilgrad. Dort soll sich das (symbolische) Grab des sagenumwobenen thraktischen Sängers Orpheus befinden. Der Archäologe Prof. Dr. Nikolaj Ovcharov ist zumindest davon überzeugt, dass das gigantische Felsengrab unweit des heutigen Dorfes eine heilige Kultstätte war, die vor 6000 Jahren entstand. Zahlreiche Funde beweisen, dass dieses Orpheus-Heiligtum noch vor den ägyptischen Pyramiden errichtet wurde. Der Tharkologe Ovcharov verweist darauf, dass dieses Heiligtum der erste überirdische thrakische Tempel ist, der bisher entdeckt wurde.



Ein schmaler gut ausgebauter Fußweg schlängelt sich vom Parkplatz am Dorfrand über leichte Hügel bis zu der einstigen Kultstätte, die bis zu Beginn des 5. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung genutzt wurde und in Wissenschaftskreisen als „eine Sensation“ bezeichnet wird.


Thrakiergrab

Fast im Dreiländereck – Bulgarien, Griechenland, Türkei – befindet sich das Dorf Mezek. Drei Fakten machten es weit über diese genannten Grenzen hinaus bekannt: Das Weingut, das die Marke Mezzek produziert, die byzantinische Festung Neutsikon sowie das bisher größte Thrakiergrab. Ein Kombiticket ermöglicht, sowohl das Grab als auch die Festung zu besuchen. Beide Stätten befinden sich am jeweils anderen Dorfende.

Schon bei der Anfahrt auf Mezek sind weithin die Mauern der mittelalterlichen Festungsanlage am Berghang zu sehen. Doch noch bevor der 400-Einwohnerort erreicht ist, weist ein Schild nach links zur thrakischen Gruft. Diese wurde rund 800 Jahre vor der Festung erschaffen. Das imposante Hügelgrab, das aus dem 3. oder 4. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung stammt, wurde 1931 zufällig entdeckt und gilt seit 1968 als nationales Architekturdenkmal. Die Wissenschaftler vermuten, dass dieses mit über 30 m längste Grab auf der Balkanhalbinsel offenbar nicht nur als Begräbnis-, sondern auch als Kultstätte genutzt wurde.



Die steinerne Gruft, zu der ein 20 m langer Korridor führt, befindet sich unter einem 15 m hohen Grabhügel. Mindestens sechs Menschen wurden dort bestattet. Besonders überrascht waren die Archäologen, dass das Grab bei seiner Entdeckung nicht geplündert war. Die wertvollen Beigaben – Glas, Keramik, Kerzenleuchter aus Bronze, Kunstgegenstände aus Gold und Bronze, eiserne Rüstungen, Schmuck, Tongefäße – sind im Archäologischen Museum Sofia ausgestellt. Einige dieser interessanten Fundstücke sind als Kopien in kleinen Bildrahmen entlang der Wände des Grabkorridores zu sehen.

Auf dem Weg von Parkplatz zur Grabstätte stellen übergroße Fußbodenbilder Thrakier dar. Auf den letzten Metern vor dem Eingang zur Grabkammer informieren Bildtafeln über diese Epoche – in Bulgarisch und Englisch.


Byzantinenfestung

Da Mezek im Altertum ein wichtiger Punkt auf der Handelsroute von und nach Konstantinopel (seit 28. März 1930: Istanbul) war, bekam der Ort im 11./12. Jahrhundert auf dem Kaleto-Hügel eine Festungsanlage. Die rund 7000 Quadratmeter große Bastion sollte das Gebiet zwischen den Flüssen Arda und Maritsa schützen. Der byzantinische Kaiser Alexios I. Komnenos (1048-1118) ließ die mächtigen Mauern mit den neun Rundtürmen errichten. Die mit dreifachen Ziegelreihen verstärkten Außenmauern befinden sich noch jetzt in einem erstaunlich guten Zustand.



Bereits im 20. Jahrhundert wurde begonnen, die noch vorhandenen Festungsanlagen zu restaurieren und zu konservieren. Ebenso wie die gesamte Nordmauer waren bis um 1900 auch an anderen Stellen Steine für den Bau einer türkischen Kaserne in Svilengrad entnommen worden. Denn nach der Befreiung Bulgarien 1878 vom osmanischen Joch gehörte die Region zum türkischen Staatsgebiet. Erst seit 1913 wurde Mezek und seine Umgebung wieder Bulgarisch.

Die verbliebene Festungsruine kann von Besuchern durchstreift werden. Teilweise ist es sogar möglich, die noch vorhandenen Türme zu besteigen. Vom höchsten Turm zwischen der West- und der Südmauer soll sogar an klaren Tagen die Ägäis zu sichten sein. Insgesamt gilt diese Anlage als der besterhaltene Befestigungsbau in den Rodopen.


Römervilla

Ein anderes Kulturdenkmal von nationaler Bedeutung ist bei Ivailovgrad zu finden: Die Villa Amira. Auch dieses römische Landhaus wurde zufällig von Arbeitern entdeckt, die dort 1964 einen kleinen Staudammbau vorbereiteten. Die archäologischen Grabungen führten schließlich dazu, dass das Staudammprojekt vollständig ad acta gelegt wurde. Die ursprüngliche Idee war, die interessanten Funde zu bergen und anderenorts zu präsentieren. Doch was dort schließlich zum Vorschein kam, übertraf die Erwartungen, sodass ein Museum vor Ort den geplanten Staudamm ersetzte.



Die Villa entstand etwa in den Jahren 50 bis 70 unserer Zeitrechnung. Sie gehörte einem thrakischen Adligen, der vermutlich römischer Statthalter in der Region war. Der für den Bau verwendete weiße Marmor stammt direkt aus der Umgebung. Bis zum späten 4. Jahrhundert war dieses Landhaus dann bewohnt. Um 378 brannte das Anwesen nieder. Die Historiker vermuten, dass das mit dem Tod des römischen Kaisers Valens (328-378) nach der blutigen Schlacht von Adrianopel gegen die Goten zu tun haben könnte. Denn der verwundete Monarch wurde in eine nahe Villa gebracht. Die Goten fanden ihn jedoch, erschlugen ihn und zündeten das Anwesen an.

Die Villa bestand aus 22 ebenerdigen Räumen, die teilweise reich verziert waren, und einer Panoramaterrasse.

Die sehr gut erhaltenen Bodenmosaike zeigen typische Motive der antiken Römerkunst. Die Mosaike im Hausherrenzimmer zeigen den Bewohner aus dem 2. Jahrhundert sowie seine beiden Kinder. Im 3. Jahrhundert erfolgte ein Anbau für einen Empfangs- und Speisesaal mit den dazugehörigen Nebenräumen. Der Gebäudekomplex gilt als der spektakulärste aller bis jetzt bekannten Villen dieser Art auf dem Gebiet der römischen Provinz Thrakien.

Die Räume und Außenanlage der Villa können individuell besichtigt werden. Für Fotos und Filmaufnahmen wird neben dem Eintrittspreis eine kleine zusätzliche Gebühr erhoben. Unmittelbar am Parkplatz des Villa-Museums befindet sich auch ein kleines Café.


Handwerkstraditionen

Wer die Rodopen durchstreift sollte auch Zlatograd ansteuern. Die gut 6500-Einwohnerstadt im Wintersportbezirk Smoljan bietet in Zentrumsnähe einen ethnografischen Komplex, der gleichzeitig ein Bestandteil des alltäglichen Lebens ist. Das frei zugängliche Areal ermöglicht einen Blick in verschiedene historische Handwerkstätten. Im Museum sind archäologische Sammlungen ebenso zu sehen wie eine Ausstellung über die Entwicklung der Lebensverhältnisse der Einwohner.



Sofern die Werkstätten in dem Komplex geöffnet sind, können sie betreten werden. Darin werden meist in traditioneller Technik entsprechende Waren hergestellt, die teilweise auch direkt zu erwerben sind. Auch zahlreiche andere Ausstellungsdetails ergänzen das jeweilige Handwerksatelier. So sind unter anderem in der Schneiderei neben interessanten Fotos aus vergangenen Zeiten auch alte Bügeleisen, Nähmaschinen, Scheren und andere Utensilien zu sehen. Gold-, Kupfer- und Messerschmiede präsentieren ihre Fertigkeiten ebenso wie die Sattler oder Holzschnitzer. Zu der besonderen Attraktion des Komplexes gehören die drei noch in Betrieb befindlichen Wasseranlagen: Walk-, Wasser- und Wollmühle.

Auf traditionelle Weise werden in dem in die Stadt integrierten Areal auch verschiedene Feste begangen. Dazu gehören unter anderem Trifon Zarezan (Weingartentag) am 14. Februar, Baba Marta (Frühlingsfest) am 1. März, Johannistag am 24. Juni, das Zlatograd-Fest am 21. November sowie Koledari (Weihnachtssingen) am 24. Dezember.

Unmittelbar am Komplexareal und auch an verschiedenen anderen Stellen in der Stadt gibt es gemütliche Cafés und Restaurants, die ein breites Angebot regionaler Leckereien parat halten.


Text- und Fotoautor: Herbert Schadewald, Juli 2018