LINDEN 21 umfasst all die Produktionen und Projekte des Spielplans der Deutschen Staatsoper, die nicht den »klassischen« Modalitäten des Darbietens und Rezipierens folgen, sondern ganz bewusst nach neuen Formen suchen. Kammeropern sind hier ebenso dabei wie inszenierte Konzerte und Stückentwicklungen oder eine »Performance« mit Elementen von Musiktheater und Tanz. Erinnert sei in dem Zusammenhang an das einzigartige Stück auf großer Bühne mit dem Titel "HIMMELERDE" im Jahr 2019.
LINDEN 21 steht auch nach Corona weiterhin für das »Andere« und Ungewöhnliche. Genauso wie Christian Josts Kammeroper DIE ARABISCHE NACHT – eine 2022er Neuproduktion - inszeniert von Marcin Łakomicki. Präsentiert nicht auf großer Bühne, sondern erstmals auf der Probebühne 1 des Intendanzgebäudes. Besonders faszinierend darf dabei die ungewöhnliche Nähe des Publikums zu den Protagonist:innen empfunden werden. Eine Nähe, die mitunter - wenn auch nur ab und an für Momente - an das außergewöhnliche interaktive Musiktheaterprojekt "Schnittstelle Figaro" der Jungen Staatsoper Berlin vor zwölf Jahren erinnert.
Nach einer Werkseinführung, die bereits neugierig auf ein vermutlich verwirrend wirkendes Stück zwischen orientalischem Märchen, Albtraum und der Realität macht, fühlen sich Zuschauende und -hörende inmitten eines großen dunklen Raumes alsbald in eine Geschichte hineingezogen, die von acht einsamen Menschen in einem anonymen Hochhauskomplex erzählt. Davon, dass ausgerechnet in einer schwülen Großstadtnacht kein Wasser mehr aus den Leitungen fließt, obwohl doch überall im Hochhaus Wasserrauschen zu hören ist. Seltsam nur, dass in einer Wohnung im 7. Stock, in dem die Freundinnen Franziska und Fatima wohnen, das Duschen noch möglich ist. Das ruft natürlich Hausmeister Lomeier auf den Plan. Aber er ist nicht der Einzige, den es in diese Wohnung besagter Etage zieht. Denn auch Fatimas Freund Kalil und der Nachbar Karpati vom Haus gegenüber sind längst auf dem Weg dorthin. Wenn auch - wie sich bald herausstellen wird - aus ganz anderen Gründen.
Optische Eindrücke | DIE ARABISCHE NACHT | © Gianmarco Bresadola:
Als dann auch noch klar wird, dass mal wieder der Fahrstuhl defekt ist, nimmt die Sommernacht - durchbrochen von immer bizarreren Ereignissen - ihren Lauf. Dabei werden Personen zusammengeführt, die zwar im selben Haus leben, aber trotzdem einander völlig unbekannt sind. Nicht wenige werden womöglich solche Erfahrungen schon selbst gemacht haben oder befinden sich bis heute aktuell in ähnlichen Wohnsituationen. In der Printausgabe des Programmhefts ist zum Thema ein Interview mit Bewohner:innen eines Wohnhauses in der Zingster Straße in Berlin-Neu-Hohenschönhausen nachlesbar - aufgezeichnet von Sonya Schönberger. Ebenso wie der Liedtext von "Little Boxes" von Malvina Reynolds - passend platziert neben einem Abbild einer Hochhaus-Vorderfront. HörTipp: "Little Boxes" mit Pete Seeger | 1968
Christian Josts Kammeroper nach dem gleichnamigen Schauspiel von Roland Schimmelpfennig ist eine inszenierte Fantasie-Geschichte über die Flucht aus dem anonymen Großstadtdschungel. Sie wird erzählt auf fabelhaft bezaubernde Art und Weise mit sich parallel überkreuzenden Monologen der Hausbewohner:innen, die sich zeitweise in das Reich von Tausendundeiner Nacht entführt wähnen. Und ob nun Traum oder Realität. Es interessiert immer weniger im Verlauf des Abends, weil längst gefangen in dieser wundersamen Aufführung. Auch dank des Einsatzes unterschiedlichster Klangfarben, die die jeweiligen Situationen und Eigenschaften aller Beteiligten noch mal mehr musikalischen unterstreichen. Unglaublich beeindruckend dabei auch die Sopranistin Marie Sofie Jacob als auch der Bariton Carles Pachon.
Weitere sehr interessante Details zu Christians Josts Kammeroper und deren Mitwirkenden auf der Seite zum Stück selbst, im Programmheft oder auch im Interview zur LINDEN 21 Produktion »Die arabische Nacht« – Eine Stadt in einem Haus. Auch wenn Deutschlandfunk Kultur die Premiere des Stückes aufzeichnete, ist der Sendetermin dafür noch unbekannt. Deshalb und in Ermanglung eines aktuellen Trailers der 2022er Neuproduktion zumindest der Hinweis auf ein Hörspiel des HR-WDR aus dem Jahr 2001 als HörTipp: "Die arabische Nacht".
Freuen wir uns unabhängig davon schon jetzt auf Thom Luz’ Stückentwicklung WERCKMEISTERHARMONIEN im Apollosaal, die im Mai 2022 zur Uraufführung kommen wird.